Kraft, Arbeit und Rampen

Die meisten Ägyptologen favorisieren den Pyramidenbau durch Rampen. Interessanterweise konnte ich in Diskussionen selbst mit gediegenen Fachleuten (wie einem bekannten Architekten aus Amerika) feststellen, daß oft ein Mangel an physikalischem Hintergrundwissen vorliegt. So ist vielen nicht einsichtig warum denn ein Rampentransport sinnvoll gegenüber dem senkrechten Anheben von Steinen ist. Insbesondere herrschen Verständigungslücken, warum das Gewicht eines Steinblocks völlig unerheblich für das Rampenmodell ist.
Ich will daher hier ein paar Worte über die elementaren physikalischen Grundlagen verlieren. Aber keine Sorge, alles ist leicht verständlich.

Was ist "Kraft"?

Vielen ist der Begriff bekannt, doch die wenigsten können wirklich etwas damit anfangen. "Kraft" ist etwas das man aufwenden muss, um ein Objekt in einer bestimmten Zeit auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu bringen. In der natürlichen Welt muss man auch Kraft aufwenden, um ein Objekt von A nach B zu bewegen. Und natürlich muss man auch Kraft aufwenden, um ein Gewicht einfach nur so zu halten. Höchst verwirrend.
Physikalisch ist die Kraft definiert als F=m*A oder Masse mal Beschleunigung. Die Einheit der Kraft ist ein Newton (N) mit der Definition 1 N = 1 kg * 1m/s2. Beschleunigt man ein Kilogramm in einer Sekunde auf einen Meter pro Sekunde, hat man die Kraft von einem N(ewton) aufgewandt.
Unsere Erde wirkt wie ein "Massemagnet" und versucht, jeden Körper in Richtung ihres Mittelpunkts hin mit rund 10m/s2 zu beschleunigen, bis er durch die Oberfläche gebremst wird. Sie übt daher auf ein Gewicht von einem Kilogramm die Schwerkraft von 10 N aus!
In der "idealen" Welt, in der sich Physiker besonders wohl fühlen, muss man keinerlei Kraft aufwenden, wenn man einen Körper gleichmäßig horizontal (also immer senkrecht zur Schwerkraftrichtung) bewegt - er läuft von selbst weiter, wie es unsere Planeten oder Satelliten tun. Die reale Welt ist da garstiger: Es gibt die "Reibung". Bewegt man einen Körper horizontal über eine Fläche, greifen unzählige Unebenheiten zwischen Körper und Unterlage an und ziehen und zerren an dem Körper um ihn abzubremsen. Auch dieser Effekt ist eine Kraft, da er den Körper abbremst, also negativ beschleunigt.
Der geniale Englische Physiker Sir Isaac Newton fand vor mehr als 200 Jahren die grundlegenden Sätze heraus die es uns heute ermöglichen, viele Dinge der realen Welt (so auch den Steintransport bei Pyramiden) zu berechnen. Die Physik ist die einzige Form von Wahrsagerei, die bislang funktioniert ;-)
Einer der wesentlichen Sätze lautet einfach "Actio = Reactio" und ist Basis des Raketenflugs und des Flaschenzugs. Er sagt, daß eine in eine Richtung gerichtete Kraft immer eine gleich große Kraft in die entgegengesetzte Richtung ausübt, solange er in Ruhe ist. Oder: Um einen Körper aus der Ruhe zu bringen muss eine mindestens ebenso große Kraft in Gegenrichtung ausgeübt werden.

Die Rampe

Um einen Pyramidenblock von 2500 Kilogramm senkrecht anzuheben, benötigt man eine Kraft von ungefähr 25000 N. Um einen Block waagerecht über den Boden zu zerren, benötigt man eine Kraft, die alleine von der Reibung abhängt. Aber was ist, wenn man einen Block eine Rampe emporzerrt? Welche Kraft braucht man da? Reibung plus Gewichtskraft? Diese Meinung vertreten viele, aber sie ist glücklicherweise falsch.

Schiefe Ebene
Fig. 1 - Rampenkräfte
Eine Rampe funktioniert wie die abgebildete "schiefe Ebene": Die auf den Block wirkende Gewichtskraft Fg wird in zwei Kräfte aufgesplittet, die im rechten Winkel aufeinander stehen. Die eine Kraft presst den Block senkrecht auf die Unterlage: Die Normalkraft Fn. Sie ist verantwortlich für die Reibungskraft beim Transport. Die andere Kraft ist der Teil der Gewichtskraft, die den Block die Rampe herunterziehen will: Die Hangabtriebskraft Fh.

Einsichtig ist: Je steiler die Rampe (also: je größer der Winkel Alpha) desto höher die Hangabtriebskraft, und desto geringer die Normalkraft. In Extremposition Alpha = 900 ist der Hangabtrieb identisch der Gewichtskraft, und die Normalkraft ist = 0. In der anderen Extremlage, Alpha = 00, verschwindet logischerweise der Hangabtrieb, und die Normalkraft ist identisch zur Gewichtskraft.

Daher ist die Hangabtriebskraft Fh = Fg * sin(Alpha)
und die Normalkraft Fn = Fg * cos(Alpha).
In der reibungslosen Idealwelt der Physik beträgt die Hangabtriebskraft eines 2.5 Tonnen-Steins auf einer 50-Rampe demnach gerade mal 2170 N! Weniger als 1/10 der Gewichtskraft!
Natürlich macht die Reibung einen Strich durch die Rechnung. Die Reibungskraft ist abhängig von einer Materialkonstanten, die man nur experimentell ermitteln kann, und dem Anpressdruck. In Experimenten fand ich für eine in Ägypten verwendete Holz/Schotterkombination einen Reibungsfaktor r zwischen 0.18 und 0.30, abhängig von der Korngröße des verwendeten Schotters. Für die folgenden Berechnungen werde ich einen Mittelwert, 0.25 nehmen.
Die Reibung auf einer Rampe berechnet sich zu Fr = Fn * r, beträgt demnach für einen 2.5-Tonnen-Stein 6220 N. Hangabtrieb und Reibung zusammengenommen betragen demnach 8400 N, das ist knapp 1/3 der Gewichtskraft!!
(In Wirklichkeit gibt es zwei Reibungstypen beim Schlittentransport: Die Haftreibung die einen ruhenden Körper hindert, in Bewegung zu kommen, und die Gleitreibung, die einen in Bewegung befindlichen Körper abbremsen will. Ich habe hier nur die Gleitreibung berücksichtigt.).

Die Arbeit

Perpetuum Mobile
Fig. 2 - Perpetuum Mobile?
"Moment mal", werden sich jetzt einige schlaue Köpfe denken. "Wenn die Transportkraft eines Steins nur 1/3 der Gewichtskraft beträgt, kann ich doch 3 Steine nach oben ziehen, indem ich einen Stein nach unten abseile!". Die Erfindung des Perpetuum Mobile? Das Ende aller Energieprobleme?
Leider nein. Die angenommene 50-Rampe ist bei einem Meter Höhenunterschied immerhin 12 Meter lang! Um einen 2500-kg-Block über die Rampe nach oben zu ziehen, müßte ein 840-kg-Stein als Gegengewicht insgesamt 12 mal um einen Meter angehoben und wieder heruntergelassen werden! Selbst in einer reibungslosen Welt müßte ein 217-kg-Stein als Gegengewicht 12 mal nach oben befördert werden. Und für beide Vorgänge benötigt man dieselbe Arbeit!
Arbeit ist die Summe aller Kräfte, integriert über die gesamte Wegstrecke. Oder bei konstanter Kraft einfach "Kraft mal Weg". Sie wird in der physikalischen Einheit "Joule" gemessen. In der reibungsfreien Welt müssen 2170 N über einen Weg von 12 Metern aufgebracht werden - das sind 26040 J. Genauso muss ich aber 12 mal einen 217 kg-Gegengewicht um je einen Meter anheben - das Ergebnis ist wiederum 26040 J! Die Physik schenkt einem nichts!
In der realen Welt ist es durch die Reibung noch übler. Benötigt ein 2.5 Tonnen-Block eine Arbeit von 25000 J um ihn um einen Meter zu heben, wird auf der Rampe glatt das Vierfache verpulvert!
Lohnt sich denn das? Ja. Wir Menschen sind in der Lage, erhebliche Arbeit zu verrichten, aber unsere Kräfte sind beschränkt. Daher zielen alle einfachen Maschinen wie Hebel und Flaschenzüge darauf ab, den Krafteinsatz zu reduzieren, selbst wenn dadurch der Arbeitseinsatz vergrößert wird.

Heben, tragen und ziehen

Kommen wir zum letzten Punkt: Wieviel Kraft kann ein Schlittenarbeiter denn aufbringen? Ein heutiger Transport- oder Lagerarbeiter kann durchaus 50 Kilogramm-Säcke tragen. Über kurze Strecken und für kurze Zeit. Über einen 8-Stundentag in sengender Hitze, das ist wohl nicht anzunehmen. Ein 50 kg-Sack übt eine Gewichtskraft von 500 N auf.
Interessanterweise konnte ich in Experimenten problemlos mit 500 N ziehen. Das können Sie auch mal ausprobieren, zum Beispiel in einem Sportstudio :-)
Der Grund für diesen Unterschied: Beim Ziehen kann man durch Vornüberneigen sein eigenes Körpergewicht als Kraftquelle verwenden. Beim Tragen hingegen muss das Körpergewicht zusätzlich zur Last unterstützt werden. Beim Ziehen kommt die meiste Kraft aus den kräftigen Beinen. Beim Heben geschieht dies oft mit den wesentlich schwächeren Armen.
All dies führt dazu, daß beim Ziehen dauerhaft eine Kraft von bis zu 1000 N aufgebracht werden kann. Gehe ich von 500 N aus, um auf der sicheren Seite zu bleiben, kann ein 2.5-Tonnen-Stein mit (8400 N / 500 N) = 16.8 Arbeitern gezogen werden!
Kommen wir auf die Seilfrage von der Vorseite zurück: Um einen solchen Schlitten zu ziehen, benötigen wir bei einer Reißfestigkeit von gemittelten 60 N/mm2 also einen Gesamt-Seilquerschnitt von 140 Quadratmillimetern. Das entspricht einem Seildurchmesser von 1,34 Zentimetern! Selbst die schwersten Blöcke von 50-70 Tonnen Gewicht kämen mit 2800-3920 Quadratmillimetern Seilquerschnitt aus. Das entspräche einem Seil von 5,9 bis 7,1 cm Durchmesser - oder 20-28 Seilen der bekannten Dicke von 1,34 Zentimetern! Das ist nichts was auch nur annähernd in den Bereich des Unwahrscheinlichen oder gar de Unmöglichen fällt.

Mit diesem Basiswissen versehen können wir uns einige Gedanken zum Rampentransport von Steinen ansehen.

Ergänzungen

In letzter Zeit bekam ich einige Kritik: Diese Seiten seien ja nur rein theoretisch, und würden nichts über die Realität aussagen. Nach nur wenig Befragung stellte sich heraus, das all diese Kritiker (so ein Schweizer Büromateialhändler :-) ) sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hatten, die hier vorgeschlagenen Experimente durchzuführen. "Es darf nicht funktionieren, also kann es nicht funktionieren" war das Credo. Na, wer ist hier wohl dogmatisch?
Ein weiterer Kritikpunkt war, daß die Physik hier zu kompliziert beschrieben worden sei, und all das sei Verschleierungstechnik. Und die Berechnungen könnten praktische Experimente nie ersetzen und könnten daher nicht anerkannt werden. Nun, ich hoffe, daß diesen Kritikern nie bewusst wird, daß die Flugzeuge in denen sie zu ihren geheimnisvollen Zielen reisen ausschließlich auf Basis physikalischer Berechnungen beruhen :-)))
Alle hier vorgestellten Berechnungen können mit Physikbüchern der Mittelstufe an Gymnasien nachvollzogen werden (ich habs überprüft), dürfte also für keinen wirklich Interessierten ein Problem darstellen (böse Kommentare erspare ich mir hier).

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Alle Bilder und Texte © Frank Dörnenburg